Ulf Schneider „Viele deutsche Unternehmen wissen nicht mal, wo Belarus überhaupt liegt“

26.08.2020

Schon vor den Unruhen galt Belarus als unattraktiver Standort für ausländische Unternehmen. Zu Unrecht, sagt Ulf Schneider, der Firmen dort beim Markteintritt berät. Ein Gespräch über die belarussische Businesskultur.

Ulf Schneider gründete 2003 in Moskau die SCHNEIDER GROUP. Die Unternehmensberatung ist auf die Begleitung westeuropäischer Unternehmen bei der Expansion nach Osteuropa und in die GUS-Staaten spezialisiert. 2009 eröffnete die Gruppe eine Niederlassung in Minsk und berät seitdem auch dort ausländische Unternehmen. Offenbar ein gefragtes Geschäft – denn neben der vergleichsweise starken Verflechtung von Staat und Wirtschaft scheitern ausländische Unternehmen häufig an organisatorischen, bürokratischen oder kulturellen Hürden.

WirtschaftsWoche: Sie sind schon mehr als ein Jahrzehnt in Belarus aktiv und helfen ausländischen Firmen, dort Fuß zu fassen. Wie haben sich die Startvoraussetzungen für westliche Unternehmen seitdem verändert?

Lukaschenko hat in den vergangenen Jahren vor allem außenpolitisch einiges richtig gemacht. Zum Beispiel hat er eine 30-tägige Visafreiheit eingeführt, das ist gerade für Geschäftsreisende eine riesige Erleichterung. Außerdem hat er das Land entbürokratisiert und Prozesse einfacher gestaltet. Das hat ausländischen Unternehmen geholfen, in Belarus aktiv zu werden. Gerade in der IT-Branche funktioniert das gut. Das entschuldigt natürlich nicht, wie er aktuell mit seiner eigenen Bevölkerung umgeht. Außerdem scheint sich dieser Reformeifer seit etwa einem Jahr gelegt zu haben. Das könnte auch ein Grund für die Unzufriedenheit der Bevölkerung sein. Aber es scheint auch, als hätten die wirtschaftlichen Verbesserungen nicht den Nerv der jungen Leute getroffen – denn die drängen vor allem auf Freiheit.

Als Ihre Agentur 2009 auch in Belarus aktiv wurde, galt der Staat als schwieriger Standort für westliche Unternehmen. Bürokratie, Korruption und eine stark staatlich regulierte Wirtschaft prägten das gemeine Bild von Weißrussland. Wieso haben sie dort dennoch Potenzial gesehen?

Damals herrschte eine Art Goldgräberstimmung – Geschäftsideen lagen auf der Straße, man musste sie nur gut umsetzen. Belarus bot ausländischen Unternehmen großartige Geschäftsmöglichkeiten, aber hat sich nicht gut vermarktet. Ich war sicher, dass das Land sich gut entwickeln würde und als Brückenland zwischen der EU und Russland außerdem ein attraktiver Standort wäre, um Waren in Belarus zu produzieren und dann in andere russischsprachige Länder zu exportieren. Nicht nur wegen der qualifizierten Arbeitskräfte oder den relativ niedrigen Löhnen: Die Belarussen sind uns Deutschen sehr ähnlich. Die Tugenden im Arbeitsleben sind beispielsweise Disziplin, Pünktlichkeit und akkurates Arbeiten.

Dennoch sind bis heute eher wenige deutsche Firmen in Belarus aktiv.Woran liegt das?

Viele Deutsche Unternehmen wissen ja nicht einmal, wo Belarus überhaupt liegt. Viele haben auch den Eindruck, dass die Lage dort mit einem Präsidenten wie Lukaschenko zu Problemen führen kann – verständlicher Weise. Aber der weit verbreitete Eindruck, dass da keine wirtschaftlichen Chancen sind, ist aus meiner Sicht ungerechtfertigt. Die Unternehmen brauchen aber jemanden, der ihnen hilft, dort anzukommen und sich mit den besonderen Gegebenheiten zurechtzufinden. Sonst scheitern Geschäfte an organisatorischen Hürden oder kulturellen Unterschieden. Wer die belarussische Art Geschäfte zu machen nicht begreift, wird es dort sehr schwer haben.

Was läuft dabei denn anders als beispielsweise in Deutschland?

Zum Beispiel die Gespräche mit potenziellen Geschäftspartnern. Wir Deutschen neigen dazu, ein bis zwei Tage irgendwo hinzufliegen, dann verhandeln wir den Vertrag und sobald der unterschriftsreif ist, fahren wir wieder nach Hause. In Belarus ist das nicht so: Da kann man sich sicher sein, dass der Vertrag nicht zustande kommt, wenn man direkt nach der Besprechung verschwindet.

Wieso denn das?

Das ist kulturell bedingt. Wenn der Deutsche sagt, der Vertrag sei jetzt spruchreif und dann abreist, ist das eine Missachtung des Geschäftspartners. Man muss sich Zeit nehmen und zumindest noch gemeinsam ins Theater oder zu einem Konzert gehen. Wenn man dann etwa zu seinem zukünftigen Partner nach Hause eingeladen wird, dann hat man einen Kontakt aufgebaut, der auch Bestand haben wird. Wie lange das dauert, kann man nicht pauschal sagen. Aber die richtige Antwort, wenn jemand nach dem Zeitpunkt Ihres Rückfluges fragt, lautet: „Wenn wir richtig gut vorangekommen sind.“ Da sollte man auf keinen Fall einen Termin nennen.

Könnte man das nicht einfach beherzigen und dann laufen die Geschäfte in Belarus?

So einfach ist das nicht – denn in Belarus gibt es eine tief verwurzelte Bürokratie mit schwerfälliger Verwaltung. Wenn etwas aus unserer Sicht unterschriftsreif ist, dann ist das aus deren Sicht nicht so. Gerade bei Verträgen zwischen zwei Unternehmen kann sich das ziehen. Dafür braucht man schon Ausdauer.

Diese Herausforderungen sind verglichen mit der aktuellen Lage in Belarus eher gering. Hunderttausende protestieren gegen Lukaschenko, der antwortet mit Gewalt. Kann es mit Lukaschenko als Präsident in Zukunft weitergehen?

Lukaschenko hat jahrzehntelang die Entwicklung der Opposition unterdrückt. Deswegen halte ich es für fraglich, ob diese Opposition in der Lage ist, eine Regierung zu bilden, die alle gesellschaftlichen Schichten berücksichtigt. Wer gewonnen hätte, wenn die Wahl frei und objektiv gewesen wäre, ist sehr schwer zu sagen. Die wirtschaftlichen Verbesserungen reichten offenbar nicht aus, um die Leute zufriedenzustellen. Wünschenswert wäre ein offener Dialog zwischen dem Präsidenten und dem Volk. Schließlich gibt es Oppositionsanhänger genauso wie Regierungstreue in Belarus.

Interview von Jan-Lukas Schmitt und Maximilian Sachse

22. August 2020

Quelle

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