16.06.2023
Mit offenem Blick für Zukunftsmärkte
Ulf Schneider, Geschäftsinhaber der SCHNEIDER GROUP und Marktkenner für Osteuropa und Zentralasien, spricht über Neuaufstellung in der Außenwirtschaft und zukünftige Wachstumsmärkte für Mittelständler.
Herr Schneider, Sie sind seit genau zwanzig Jahren unternehmerisch in Osteuropa und Asien aktiv. Wie haben sich diese Regionen in der Zeit gewandelt?
Vor dem 24. Februar 2022 wäre meine Antwort homogener gewesen. In den vergangenen 20 Jahren haben Russland und Belarus wirtschaftlich viel erreicht, Zentralasien ist als Handelspartner bedeutender geworden. In der neuen Realität bleibt es abzuwarten, ob sich Russlands Umorientierung nach China bewährt. Man sieht inzwischen viele chinesische Autos in Moskau. Ob die Unternehmen aus China, wie einst der deutsche Mittelstand, aktiv in Russland produzieren werden, ist noch offen.
In den wirtschaftspolitischen Gesprächen in Zentralasien nehme ich deutliche Bestrebungen nach einer Kooperation mit der EU wahr. Darüber freue ich mich als überzeugter Europäer, der schon vor 35 Jahren für die europäische Integration auf die Straßen gegangen ist. Die Region verfügt über Potential, um an die Erfolge der New Asian Tiger, also Südkorea, Taiwan etc., anzuknüpfen. Dafür sind jedoch weitere Reformen der Wirtschafts- und Finanzsysteme sowie eine effiziente Mittelstandsförderung erforderlich. Zusammen mit den Ländern des Südkaukasus, also Armenien, Georgien und Aserbaidschan, könnte Zentralasien zu einem attraktiven Cluster zusammenwachsten. Der Ausbau des „Mittleren Korridors“ der Neuen Seidenstraße spielt dabei eine wichtige Rolle.
Unternehmen auf der ganzen Welt sind seit drei Jahren im Dauerkrisenmodus. Was bekommen Sie in Gesprächen mit Geschäftsführern mit, die gerade in diesen Zeiten weiterhin neue Märkte im Osten erschließen wollen?
Während der Corona-Krise ist die Internationalisierung den Herausforderungen in der Produktion und Lieferkettenmanagement gewichen. Seit Februar 2022 schauen sich deutsche Mittelständler Zentralasien und den Südkaukasus umso intensiver an. Viele von diesen Firmen waren und sind weiterhin in Russland engagiert.
Aufgrund des Ukraine-Krieges und der Neubewertung der China-Beziehung müssen viele Unternehmen ihre Kunden- und Lieferantenbeziehungen umgestalten. Welche Strategien sind aus Ihrer Sicht erfolgsversprechend?
Aus unternehmerischer Hinsicht begrüße ich die Diskussion über Klumpenrisiken und Diversifizierung in der Produktionskette. Viele Unternehmen mit Produktion in China schauen sich deshalb Vietnam und Thailand an. Dieser strategische Betrachtungsradius sollte auch Kasachstan und Usbekistan miteinschließen. Zwei Faktoren sprechen dafür: Beide Länder haben zusammen über 50 Millionen Konsumenten und ermöglichen Warenrouten nach China, in die EU und Eurasische Wirtschaftsunion, kurz EAWU. An solchen Gesamtkonzepten beginnen wir für europäische Unternehmen zu arbeiten.
Jenseits von Asien, sollte man sich Serbien und Nord-Mazedonien als Nearshoring-Standorte vor Augen führen. Auch das Wiederaufbauprogramm für die Ukraine bringt neue Wachstumschancen.
Als Inhaber eines Unternehmens mit 500 Mitarbeitern in 13 Ländern spüren Sie direkt aktuelle geopolitische Herausforderungen. Wie bringen Sie unterschiedliche Interessen in ein geschäftliches Gleichgewicht?
Zunächst bin ich sehr erleichtert, dass alle Mitarbeiter im unserem Kiewer Büro wohlauf sind. Um sie durch den Winter zu bringen, haben wir jeden einzelnen mit einem Power-Generator ausgestattet. Die Kollegen konnten alle Kunden halten, es gibt inzwischen erste Anfragen im Kontext der „Rebuild Ukraine“-Initiative.
In der Tat betrachteten Westler den postsowjetischen Raum häufig zu einheitlich. Dabei sind die Mentalitäten selbst bei den Nachbaren unterschiedlich, deshalb lege ich einen großen Wert auf persönliche Treffen und bin häufig vor Ort. Das sehe als auch eine gesellschaftliche Aufgabe.
Sie haben vor Jahren deutsche Unternehmen von der eigens gegründeten Wirtschaftsinitiative Lissabon-Wladiwostok überzeugen können. Welche Themen würden die Unternehmen aus dem Westen und dem Osten heute noch zusammenbringen?
Als überzeugter Europäer ist es für mich, neben all dem schrecklichen Leid in der Ukraine, sehr traurig zu sehen wie die Idee eines solchen Wirtschaftsraumes in die Ferne gerückt ist. Die Vision einer großen Wirtschaftsgemeinschaft habe ich weiterhin vor Augen und glaube, dass wir alles dafür tun sollten, um eine weitere gegenseitige Abschottung aufzuhalten.
Der Ausdruck „Von Hamburg in die Welt“ trifft auf Sie als gebürtigen Hanseaten* voll zu. Was bringen Sie aus Hamburg in die Welt mit?
Ich fühle mich weiterhin als ein waschechter Hanseat: weltoffen, anpackend, Menschen verbindend. Die Grundidee der Hanse, die unterschiedliche Länder zu einem gemeinsamen wirtschaftlichen Handeln trotz Kriege vereint hat, versuche ich weiter in die Welt zu tragen.
Zur Person
Ulf Schneider, Jahrgang 1967, ist Gründer und Präsident der internationalen Beratungsgesellschaft SCHNEIDER GROUP. Nach seinem Abschluss als Diplom-Volkswirt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und dem Studium an der University of Illinois (USA) arbeitete er fünf Jahre im Finanzmanagement bei Procter & Gamble deutschlandweit sowie in Belgien (Brüssel). Vor der Gründung der eigenen Firma im Jahr 2003 war er als CFO im Moskauer Büro des Versicherungskonzerns Allianz tätig. Im Jahr 2015 gründete er die Business-Initiative für die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok. Seit 2020 ist Ulf Schneider als Präsident des Moskauer Malteser Hilfsdienstes tätig. Er berät internationale Unternehmen in den Bereichen Recht, Steuer, Buchhaltung, IT&ERP, HR und tritt als Sprecher zu den Themen Geschäftsaufbau- und Entwicklung in Osteuropa, Zentralasien und Südkaukasus sowie globale Trends in der Außenwirtschaft auf.
Gut zu wissen
SCHNEIDER GROUP ist in 13 Ländern mit über 500 Experten im nahezu ganzen postsowjetischen Raum sowie in Deutschland, Polen und Österreich vertreten. Im vergangenen Jahr wurden die neuen Büros in Aserbaidschan, Georgien, Kirgisistan und Litauen eröffnet. Aktuell unterstützt SCHNEIDER GROUP mittelständische Unternehmen und Konzerne bei den Transformationsprozessen in Russland und Belarus, dem Geschäftsausbau in Zentralasien und dem Südkaukasus sowie bei den Vorbereitungen zur Teilnahme an der Rebuild Ukraine Initiative.
* der Hanseat ist ein Mitglied der Hanse / Einwohner der Hansestädte. Die Hanse ist die Bezeichnung für die zwischen Mitte des 12. Jahrhunderts und Mitte des 17. Jahrhunderts bestehenden Vereinigungen nord- und westeuropäischer Kaufleute. 130 Städte wurden ins Hanseregister aufgenommen, davon etwa 100 Hafenstädte, und bis zu dreitausend Siedlungen standen unter ihrem Einfluss.
Herr Schneider, Sie sind seit genau zwanzig Jahren unternehmerisch in Osteuropa und Asien aktiv. Wie haben sich diese Regionen in der Zeit gewandelt?
Vor dem 24. Februar 2022 wäre meine Antwort homogener gewesen. In den vergangenen 20 Jahren haben Russland und Belarus wirtschaftlich viel erreicht, Zentralasien ist als Handelspartner bedeutender geworden. In der neuen Realität bleibt es abzuwarten, ob sich Russlands Umorientierung nach China bewährt. Man sieht inzwischen viele chinesische Autos in Moskau. Ob die Unternehmen aus China, wie einst der deutsche Mittelstand, aktiv in Russland produzieren werden, ist noch offen.
In den wirtschaftspolitischen Gesprächen in Zentralasien nehme ich deutliche Bestrebungen nach einer Kooperation mit der EU wahr. Darüber freue ich mich als überzeugter Europäer, der schon vor 35 Jahren für die europäische Integration auf die Straßen gegangen ist. Die Region verfügt über Potential, um an die Erfolge der New Asian Tiger, also Südkorea, Taiwan etc., anzuknüpfen. Dafür sind jedoch weitere Reformen der Wirtschafts- und Finanzsysteme sowie eine effiziente Mittelstandsförderung erforderlich. Zusammen mit den Ländern des Südkaukasus, also Armenien, Georgien und Aserbaidschan, könnte Zentralasien zu einem attraktiven Cluster zusammenwachsten. Der Ausbau des „Mittleren Korridors“ der Neuen Seidenstraße spielt dabei eine wichtige Rolle.
Unternehmen auf der ganzen Welt sind seit drei Jahren im Dauerkrisenmodus. Was bekommen Sie in Gesprächen mit Geschäftsführern mit, die gerade in diesen Zeiten weiterhin neue Märkte im Osten erschließen wollen?
Während der Corona-Krise ist die Internationalisierung den Herausforderungen in der Produktion und Lieferkettenmanagement gewichen. Seit Februar 2022 schauen sich deutsche Mittelständler Zentralasien und den Südkaukasus umso intensiver an. Viele von diesen Firmen waren und sind weiterhin in Russland engagiert.
Die aktuellen Anfragen für die neue Region erinnern mich an die Zeiten vor 20 Jahren, als Mittelständler ihre Tochtergesellschaften in Russland gründeten und nach einigen Jahren von ihrer frühen Marktpräsenz profitierten. Wer schon jetzt in die Kaspische Region kommt, wird in den nächsten Jahren belohnt.
Aus unternehmerischer Hinsicht begrüße ich die Diskussion über Klumpenrisiken und Diversifizierung in der Produktionskette. Viele Unternehmen mit Produktion in China schauen sich deshalb Vietnam und Thailand an. Dieser strategische Betrachtungsradius sollte auch Kasachstan und Usbekistan miteinschließen. Zwei Faktoren sprechen dafür: Beide Länder haben zusammen über 50 Millionen Konsumenten und ermöglichen Warenrouten nach China, in die EU und Eurasische Wirtschaftsunion, kurz EAWU. An solchen Gesamtkonzepten beginnen wir für europäische Unternehmen zu arbeiten.
Jenseits von Asien, sollte man sich Serbien und Nord-Mazedonien als Nearshoring-Standorte vor Augen führen. Auch das Wiederaufbauprogramm für die Ukraine bringt neue Wachstumschancen.
Als Inhaber eines Unternehmens mit 500 Mitarbeitern in 13 Ländern spüren Sie direkt aktuelle geopolitische Herausforderungen. Wie bringen Sie unterschiedliche Interessen in ein geschäftliches Gleichgewicht?
Zunächst bin ich sehr erleichtert, dass alle Mitarbeiter im unserem Kiewer Büro wohlauf sind. Um sie durch den Winter zu bringen, haben wir jeden einzelnen mit einem Power-Generator ausgestattet. Die Kollegen konnten alle Kunden halten, es gibt inzwischen erste Anfragen im Kontext der „Rebuild Ukraine“-Initiative.
In der Tat betrachteten Westler den postsowjetischen Raum häufig zu einheitlich. Dabei sind die Mentalitäten selbst bei den Nachbaren unterschiedlich, deshalb lege ich einen großen Wert auf persönliche Treffen und bin häufig vor Ort. Das sehe als auch eine gesellschaftliche Aufgabe.
Sie haben vor Jahren deutsche Unternehmen von der eigens gegründeten Wirtschaftsinitiative Lissabon-Wladiwostok überzeugen können. Welche Themen würden die Unternehmen aus dem Westen und dem Osten heute noch zusammenbringen?
Als überzeugter Europäer ist es für mich, neben all dem schrecklichen Leid in der Ukraine, sehr traurig zu sehen wie die Idee eines solchen Wirtschaftsraumes in die Ferne gerückt ist. Die Vision einer großen Wirtschaftsgemeinschaft habe ich weiterhin vor Augen und glaube, dass wir alles dafür tun sollten, um eine weitere gegenseitige Abschottung aufzuhalten.
Der Ausdruck „Von Hamburg in die Welt“ trifft auf Sie als gebürtigen Hanseaten* voll zu. Was bringen Sie aus Hamburg in die Welt mit?
Ich fühle mich weiterhin als ein waschechter Hanseat: weltoffen, anpackend, Menschen verbindend. Die Grundidee der Hanse, die unterschiedliche Länder zu einem gemeinsamen wirtschaftlichen Handeln trotz Kriege vereint hat, versuche ich weiter in die Welt zu tragen.
Zur Person
Ulf Schneider, Jahrgang 1967, ist Gründer und Präsident der internationalen Beratungsgesellschaft SCHNEIDER GROUP. Nach seinem Abschluss als Diplom-Volkswirt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und dem Studium an der University of Illinois (USA) arbeitete er fünf Jahre im Finanzmanagement bei Procter & Gamble deutschlandweit sowie in Belgien (Brüssel). Vor der Gründung der eigenen Firma im Jahr 2003 war er als CFO im Moskauer Büro des Versicherungskonzerns Allianz tätig. Im Jahr 2015 gründete er die Business-Initiative für die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok. Seit 2020 ist Ulf Schneider als Präsident des Moskauer Malteser Hilfsdienstes tätig. Er berät internationale Unternehmen in den Bereichen Recht, Steuer, Buchhaltung, IT&ERP, HR und tritt als Sprecher zu den Themen Geschäftsaufbau- und Entwicklung in Osteuropa, Zentralasien und Südkaukasus sowie globale Trends in der Außenwirtschaft auf.
Gut zu wissen
SCHNEIDER GROUP ist in 13 Ländern mit über 500 Experten im nahezu ganzen postsowjetischen Raum sowie in Deutschland, Polen und Österreich vertreten. Im vergangenen Jahr wurden die neuen Büros in Aserbaidschan, Georgien, Kirgisistan und Litauen eröffnet. Aktuell unterstützt SCHNEIDER GROUP mittelständische Unternehmen und Konzerne bei den Transformationsprozessen in Russland und Belarus, dem Geschäftsausbau in Zentralasien und dem Südkaukasus sowie bei den Vorbereitungen zur Teilnahme an der Rebuild Ukraine Initiative.
* der Hanseat ist ein Mitglied der Hanse / Einwohner der Hansestädte. Die Hanse ist die Bezeichnung für die zwischen Mitte des 12. Jahrhunderts und Mitte des 17. Jahrhunderts bestehenden Vereinigungen nord- und westeuropäischer Kaufleute. 130 Städte wurden ins Hanseregister aufgenommen, davon etwa 100 Hafenstädte, und bis zu dreitausend Siedlungen standen unter ihrem Einfluss.
Autor: Ali Garaev, BVMW e.V.